Man muss jeden Menschen als Mensch behandeln Zeitzeugengespräch mit Holocaust-Überlebenden

Heinz Hesdörffer ist Jahrgang 1923. Er lässt es sich trotz seines Alters nicht nehmen, jede Woche drei Mal an einer Schule über sein Schicksal zu sprechen – sein Schicksal als deutscher Jude, der das KZ überlebt hat. „Ich könnte mich ja zur Ruhe setzen, aber ich will an Schulen gehen und den jungen Menschen erzählen, was passiert ist“, erläuterte Hesdörffer seine Motivation zum Gastvortrag vor Neuntklässlern der Geschwister-Scholl-Realschule.

In der Aula ist es ganz still, als der alte Herr zum Podium geht. Er setzt sich, stellt sein Hörgerät an und beginnt zu erzählen. Er beginnt mit der Grundschulzeit, in der er sowohl jüdische als auch „arische“ Freunde hatte. Diese durften nach Hitlers Machtergreifung jedoch keinen Kontakt mehr zu dem kleinen Heinz haben, weil sie in der Hitlerjugend waren. „Sie haben sich nie wieder bei uns sehen lassen“, zeigt sich Hesdörffer enttäuscht. In seiner Erzählung lässt er zunächst den Krieg und die Inhaftierung in verschiedenen Konzentrationslagern aus. Er erzählt davon, dass er 1947 nach Südafrika zu Verwandten auswanderte und dort selbstständiger Geschäftsmann wurde. Viele Jahre lebte er dort mit Frau und Sohn, bis sich die politischen Verhältnisse zum Schlechten hin änderten.

Auswanderung in die USA

„Unter Präsident Zuma konnte man da nicht mehr leben“, begründet Hesdörffer seine Auswanderung in die USA. Doch dort, wo sein Sohn inzwischen lebte und als Arzt praktizierte, hielt es ihn nicht lange: „Das Klima ist mir nicht bekommen“. Und so zog Hesdörffer vor wenigen Jahren zurück nach Deutschland. Eine Lesung hatte ihn zurück in die alte Heimat geführt. Doch dann fängt Hesdörffer an, von der Zeit in den unterschiedlichen Konzentrationslagern zu sprechen, mit leiser und bedächtiger Stimme. Theresienstadt, Schwarzheide, Auschwitz, Sachsenheim und schließlich der Todesmarsch. Aus jedem der Lager hat er Geschichten zu berichten. So ist er in Auschwitz mit den Worten begrüßt worden: „Hier kommt ihr zum Tor hinein und geht zum Schornstein hinaus“. Selbstmorde waren an der Tagesordnung, doch Hesdörffer hatte einen unbändigen Überlebenswillen. Gleich nach dem Krieg, in Südafrika, begann er, seine schrecklichen Erlebnisse aufzuschreiben. „Das Buch war meine Therapie“, berichtet er. Er hat es auf einer Schreibmaschine getippt, 50 Jahre lang lag es in der Schublade, bevor es veröffentlicht wurde. „Nachdem ich es geschrieben hatte, hatte ich keine Alpträume mehr“, erfuhren die Schüler.

Diese hatten auch Gelegenheit, dem Zeitzeugen Fragen zu stellen. „Was ist ihnen im Zug nach Auschwitz durch den Kopf gegangen?“ „Haben Sie damit gerechnet, dass sie überleben?“ „Sind sie stolz darauf, dass sie es geschafft haben?“ Die Neuntklässler zeigen sich sehr informiert, haben sie doch vorab einen Film über Heinz Hesdörffer angesehen und sich mit seinem Lebenslauf vertraut gemacht.

Hesdörrfer zeigt seine eintätowierte Häftlingsnummer und rät den jungen Menschen, die in unserer Zeit mit Ausgrenzung und Fremdenhass konfrontiert werden: „Man muss jeden Menschen als Mensch behandeln“. Mit viel Applaus wird der Zeitzeuge verabschiedet. Die Schüler sind sichtlich beeindruckt von der Lebensgeschichte des KZ-Überlebenden. Eine Schülerin überreicht ihm eine Rose – Symbol der Geschwister Hans und Sophie Scholl, nach denen die Schule auf der Vogelstang benannt ist. Die beiden Widerstandskämpfer wurden am 22. Februar 1943 von den Nazis ermordet. Die Schule feiert dieses Jahr ihr 50-jähriges Bestehen. aso

Mannheimer Morgen, Freitag, 19.01.2018